Liegen im Rotsee 7’000 giftige Handgranaten?

Eigentlich wollte ich nur einen kurzen Erlebnisbericht über das Magnetfischen am Rotsee schreiben.
Doch dank eigener Recherche (nicht im Internet!) fand ich folgendes heraus:

  • Im Rotsee lagern noch bis zu 7’000 Handgranaten aus dem 1. Weltkrieg (3 Tonnen Munition)
  • In den HGs befindet sich giftiges Knallquecksilber (ca. 7 Kg)
  • Die Explosion erfolgte nicht wegen Lötarbeiten, sondern wegen einer Fehlzündung

Handgranaten im Rotsee aus dem Jahre 1916, geborgen 1979

Quelle: Schweizerisches Bundesarchiv www.swiss-archives.ch

Im Rotsee liegen noch bis zu 7’000 Handgranaten

1916 wurden 8’598 Handgranaten des Typs Siegwart DHG 16 im Rotsee versenkt. Als am 20. Oktober 1916, um 16.12 Uhr das Munitionsmagazin Nr. 6 explodierte, befanden sich 14’436 Handgranten sowie 300 Kg Cheddite und ca. 30 Kg Chloratsprengstoff darin. Man ging damals davon aus, dass mindestens 1’000 Handgranaten (entspricht 80 Kg Chloratsprengstoff) sowie 100 Kg Chloratsprengstoff explodierten.

Die Unfallursache war höchstwahrscheinlich eine Selbstzündung einer Handgranate. Bereits in früheren Jahren gab es in Isleten und in Muatathal eine solche Fehlzündung. Es könnte auch sein, dass beim Umpacken der Granaten von Holzkisten in Blechkisten der Sicherungsstift herausgesprungen ist und sich so eine Granate entzündete. Doch in diesem Fall hätten die Soldaten und Arbeiter vier Sekunden Zeit gehabt, die Granate aus dem Fenster zu werden oder sich in Sicherheit zu bringen.

Gänzlich falsch ist die Theorie, dass die Explosion infolge Lötarbeiten ausgebrochen ist. In den umfangreichen Akten des Bundesarchives fand die Explosion im Inneren des Magazines statt und nicht draussen, wo die Blechkisten verlötet wurden.

Explodiertes Munitionsmagazin am Rotsee 1916

Quelle: Schweizerisches Bundesarchiv www.swiss-archives.ch

Bergung von Handgranaten 1979, 2000 und 2001

Der Rotsee hatte lange nur sehr wenig Zufluss von Neuwasser und es dauerte fünf Jahr, bis sich die ganze Wassermasse einmal erneuerte. Erst als die Stadt Luzern über einen Stollen Reusswasser in den Rotsee leitete, erneuert sich das Gesamtwasser einmal jährlich. Mit der Abwassersanierung 1970 gesundete der Rotsee allmählich. In dieser Zeit wurde auch die Badi Rotsee ausgebaut und erfreut sich grosser Beliebtheit.

1979 barg man erstmals 768 Handgranaten aus dem Rotsee. Damals suchte man die Handgranaten noch auf Sicht. Im Jahr 2000 und 2001 standen den Tauchern moderne Hiflsmittel wie Metalldetektoren zur Hilfe. 2000 fand man 350 Handgranaten und 2001 283 Handgranaten (total 1401 HGs). Andere Quellen sprechen von 1’660 geborgenen HGs.

Aus den Quellen von 1916 weiss man heute, dass man damals 8’598 scharfe HGs aktiv im Rotsee versenkte. Von 1’318 HGs fand man keine Spuren mehr und man geht davon aus, dass diese zum grössten Teil explodierten und ein kleiner Teil in den See und damaligen Sumpf verschwanden. Somit gibt es heute immer noch fast 7’000 HG im Rotsee, die in Ufernähe liegen.

Quelle: NZZ – Vom Güllenloch zum Göttersee

Das Munitionshäuschen wurde dem Erdboden gleichgemacht

Quelle: Schweizerisches Bundesarchiv www.swiss-archives.ch

Sind die Handgranaten heute noch gefährlich?

Bis in die 1960er Jahre war es üblich, Munition in Gewässer zu entsorgen. Nach dem Zweiten Weltkrieg lagerte die Schweiz sehr viel Munition. Nach mehreren unkontrollierten Explosionen entschied man sich damals, alte Munition in tiefen Seen wie dem Thunersee oder Vierwaldstättersee zu versenken. Heute, nach über 50 Jahren, liegt die meiste Munition in 200 Meter Tiefe unter einer Sedimentschicht von bis zu zwei Meter.

Anders sieht es im Rotsee aus. Hier liegen seit über hundert Jahren 7’000 Handgranaten in Ufernähe. Damals war der kaum 16 Meter tiefe Rotsee eine Kloake. Erst mit dem Ausbau der Rotsee-Badi in den 1970er Jahren, befasste man sich 1979 erstmals mit der Entfernung von 768 Handgranaten.

Der Grossteil (ca. 13’300) der Handgranaten war in Blechschachteln verpackt, ca. 1’100 in Holzkisten. Der Vorteil dieser Blechschachteln ist, dass diese sehr langsam zerfallen und die HGs lange zusammenbleiben. In Holkzisten verpackte und lose HGs gelangen durch die Erosion und die Strömung eher an die Oberfläche. Vorausgesetzt, dass man die HGs in den Blechschachteln belassen hat und so im Rotsee versenkte. 2100 ausgebrannte Handgranaten hat man 1916 als Alteisen verkauft, gut möglich, dass man das auch mit den Blechkisten machte.

Überreste nach der Explosion am Rotsee 1916

Quelle: Schweizerisches Bundesarchiv www.swiss-archives.ch

Wie geht es weiter?

von den ca. 7’000 Chlorat-Handgranaten des Typs Siegwart DHG 16 geht heute, gemäss offizieller Stellen, keine Gefahr aus. Jedenfalls, wenn man diese dort so belässt und nicht an Land holt und trocknet oder gar erwärmt. Im Durchnässten Zustand ist der Zünder inaktiv. Nenneswerte Giftstoffe sollten auch nicht austreten. Die Munition befindet sich in der Nähe des Gewässerabflusses. Doch gerade 50 Meter daneben befindet sich auf gleicher Höhe auch eine sehr bekannte Badi. Die Munition lagert zudem an einem öffentlichen Wanderweg, nur ein kleiner Teil ist Naturschutzgebiet oder für Fussgänger verboten.

Im Jahr 2002 wurde der Uferabschnitt angeblich saniert. Was man genau saniert hat, konnte ich leider nicht herausfinden. Sicher ist, dass der betroffene Uferabschnitt ca. 250 lang ist.

Die Die Handgranten im feuchten Zustand ungefährlich sind und in Ufernähe liegen, könnte man diese bergen und vernichten. Möglich wäre auch eine Verschiebung des Wanderweges um ca. 100 Meter und eine Umzonung in ein Naturschutzgebiet.

Durch die Explosionskatastrophe verlor die Schweiz während des Ersten Weltkrieges auf einen Schlag 95% ihrer gesamten Handgranaten. Die Sigewart Handgranate HG16 oder das Nachfolgemodell HG17 kam in der Schweiz nie zum Einsatz, wohl aber in der Armee von Österreich-Ungarn.

Kriegstechnische Abteilung

Quelle: Schweizerisches Bundesarchiv www.swiss-archives.ch

Ist Knallquecksilber giftig?

In den Handgranaten Siegwart DHG16 wurde als Initialsprengstoff Knallquecksilber, sogenanntes Quecksilberfulminat verarbeitet. Quecksilberfulminat ist giftig und umweltgefährlich. Für Wasserorganismen stellt es ein besonders hohes Gefahrenpotential dar. Unter Wasser gelagert ist es nicht explosionsfähig und chemisch stabil.

Quelle:

Schweizerisches Bundesarchiv: Kriegstechnische Abteilung – Explosion am Rotsee 1916

Wikipedia Knallquecksilber